Wirkten die Dörfer, die wir auf dem Radtripp am Vortag passierten noch völlig verlassen, so wissen wir jetzt, wo sich zumindest am Feiertag das Leben abspielt, sofern das Wetter mitspielt:
draussen, am Kanal, in den Strassencafes und am "Dorfsee". Die absoluten Lieblingsfreizeitbeschäftigungen der Belgier sind: Radfahren, Wandern und Angeln! Und das alles in einer Seelenruhe und
Stille der Natur, die man kaum für möglich hält. Da ist es umso auffallender, als uns plötzlich und unerwartet eine Gruppe in Tiroler Trachten gekleideter Flamen über den Weg läuft und uns
schliesslich noch einen Schuhplattler aufführt. Aus Österreich gibt's dafür 10-Punkte :-).
Von der Vortagesstrecke hatten wir ja nicht so viel geschrieben, was nun heute als Überleitung kurz nachgeholt werden soll: es war am Kanal entlang bis Oudenaarde flach und wunderbar zu radeln.
Der weitere Weg jedoch hinter Oudenaarde quer durch nach Aalst war hügelig, voll mit Pflastersteinen und leider liess uns auch die Fietsen-Beschilderung teilweise im Stich. Wir lernten, noch
besser die Fiesten-Karte zu lesen. Da stehen dann nämlich auch heftige Steigungen drin, und nun wissen wir diese zu umfahren. Insgesamt waren es hart erarbeitete rd. 85 km Wegstrecke. Die
Feiertagsetappe mit rd. 65 km verläuft dagegen deutlich geschmeidiger, denn der Weg führt fast ausschliesslich am Fluss Schelde entlang. Die Strecke ist kurzweilig, weil sich immer wieder die
Landschaft verändert und angenehm, weil auf diesem Radabschnitt immer wieder schöne Cafes am Wegesrand zum Zwischenstopp verleiten. Mehrfach überquert man dabei auch den Fluss mit kleinen Fähren,
die man kostenfrei benutzen darf.
In Dendermonde machen wir einen Abstecher, um das Städtchen anzusehen und geraten in die eher kleine Feiertagskundgebung. Dann geht's aber auch schon weiter. Dennoch ist es ca. 18 Uhr, als wir
die Silhouette Antwerpens das erste Mal erblicken. Wir haben extra die Annäherung von der dem Stadtzentrum gegenüber liegenden Seite gewählt, um diesen schönen Blick geniessen zu können und
können so gleich das erste Mal den Fahrradtunnel nutzen, der linkes und rechts Scheldeufer verbindet: mit einem riesigen Transportlift geht's 31m unter die Erdoberfläche, dann einen Tunnel unter
dem Wasser entlang und auf der anderen Seite in einem identischen Lift wieder nach oben. Fussgänger wählen statt des Lifts eine uralte, atmosphärische Holzrolltreppe.
Der erste Eindruck von Antwerpen: etwas rauer im Auftritt als das wunderschöne, liebliche Brügge oder das quirlige Gent. Wir sind also gespannt, was unsere kommenden Stunden hier uns an
Eindrücken bescheren werden.
Es gibt Momente, in denen man als Tourist plötzlich und unerwartet tiefe Einblicke in die Identität eines Landes oder einer Region bekommt. So geschehen gestern. Tatort Oudenaarde, genauer gesagt
das Radfahrzentrum der berühmten Ronde van Vlaanderen, der Flandernrundfahrt.
Wir sitzen in einem abgedunkelten Raum und sehen einen kurzen Film über die Rundfahrt. In diesem Moment können wir nicht nur verstehen, sondern fühlen, wofür das Herz der Flamen schlägt!
Unser Guide Tieneke verstärkt dieses Gefühl, während sie uns mit leuchtenden Augen durch das Museum führt und ihre Faszination für De Ronde mit uns teilt.
Alles begann 1913 - weswegen De Ronde just dieses Jahr ihr 100-jähriges Jubiläum feierte. Der Gründer war ein Unternehmer mit Herzblut, der vorher bei vielen unternehmerischen Versuchen
gescheitert war, auch bei dem, ein Rennradfahrer zu werden. Da beschloss er, eine Sportzeitung zu gründen. Und schon vor 100 Jahren galt der alte Marketing-Slogan "content is king". Es musste
also eine spannende Sportstory her, und schwupps, war das Radrennen De Ronde van Vlaanderen geboren. Übrigens sind wohl auf gleichem Wege der Giro d'Italia und selbst die Tour de France
entstanden. Heute ist es ein unabhängiges Event, mit einem Jahresbudget von rd. 1,8 Mio €.
Bei gutem Wetter stehen 800 Tsd Besucher an der Strasse und Belgien generell wirkt überall sonst in West- und Ostflandern wie ausgestorben, weil der Rest vor dem TV-Bildschirm hängt und das
Rennen verfolgt.
Und wer bisher dachte, Radrennen, das ist doch einfach nur ein Sport, bei dem viele ausgezehrte Männer auf zwei Rädern über Stunden einem Ziel entgegen hecheln, der lernt hier im Zentrum schnell,
dass die Mythen und Legenden, die kleinen und grossen Geschichten rund um ein Rennen ebensolches zur Faszination machen.
Zuallererst trägt dazu bei, dass De Ronde, rd 260 km lang, zu erheblichem Teil auf Pflastersteinen gefahren wird. Deshalb nehmen schon mal kaum Spanier an dem Rennen teil. Und Dimitri Gusev z.B.
drückte sein Rennrad direkt nach der Zieleinfahrt dem Chef des Zentrums in die Hand mit den Begleitworten, dieses Rennen sicher nie mehr zu fahren. Das Rad, mit Tacho, Wasserflasche etc. ist
heute noch im Zentrum zu bestaunen.
Ein Gefühl dafür, wie es sich anfühlt stundenlang über Pflastersteine zu radeln, kann man live im erleben - es ist ein Fahrrad aufgebaut, man muss nur lostrampeln und kann sich durchschütteln
lassen. Alternativ kann man es natürlich wie wir machen: mit dem Rad durch Flandern fahren, da gibt's dann oft genug solche Passagen :-).
Viele Geschichten sind in diesem interaktiv gestalteten Zentrum dokumentiert, ebenso wie die vielen Sieger und Teilnehmer gezeigt werden und deren Ausrüstung. Für Radsportfans ist ein Besuch
schlicht vermutlich das Schönste, was man sich vorstellen kann, für alle anderen die es die Chance, das Herz der Flamen schlagen zu hören.
Und wer es jetzt selbst genau wissen will, wie es sich auf De Ronde anfühlt: Am 25./26. Mai findet die Retro-Ronde statt. Mit alten Fahrrädern und Original alten Trikots..... Auf geht's
Flanderen!
Ausschnitte aus dem Video des Centrums Ronde van Vlaanderen mit freundlicher Genehmigung.
Das belgische Orientierungssystem für Radfahrer spielt unserer Meinung nach in der Königsklasse. Nach einem Tag radeln, hat man es einfach raus, und wer jetzt weiterliest, spart sich selbst
diesen einen Tag....
Knotenpunkte / Knootenpunte:
Ein Radwegenetz überzieht ganz Belgien. Wenn sich Radwege kreuzen, wird dieser Punkt als Knotenpunkt festgelegt und mit einer fortlaufenden Nummer versehen.
Beschilderung:
Es gibt zwei Arten Schilder. Die Knotenpunktschilder und die Wegstreckenschilder. Das Knotenpunktschild (s. Photo) zeigt an, an welchem Knotenpunkt man ist, und in welche Richtung man fahren
muss, um den gewählten nächsten Knotenpunkt zu erreichen z.B. Man steht an Knotenpunkt 5 und nach links gehts zu Kontenpunkt 6 und nach rechts zu Kontenpunkt 10. Will man z.B. als nächstes die
Nr. 10 ansteuern, folgt man ab jetzt und so lange den Wegstreckenschildern mit der Nr. 10 drauf, bis man ebendiesen Knotenpunkt erreicht hat. Ganz einfach, oder?
Streckenplanung:
Für die Streckenplanung verwendet man entweder die Fietenskarten, d.h. Radkarten, die man in jeder Touristeninformation erwerben kann, oder man macht es sich noch einfacher, und lässt sich die
gewünschte Route im Internet unter www.fietsnet.be erstellen. Die Seite ist zwar auf holländisch, aber absolut
intuitiv bedienbar. Die Nummern schriebt man sich auf, und radelt los.
Im Gebrauchstest sind allerdings die Karten unschlagbar, da man, sofern man nicht aufgepasst hat und sich deshalb verfährt, mit den Karten direkt neu planen kann. Oder die Flexibilität besitzt,
doch noch hier und da spontan die Routenpläne zu verändern.
Erste Streckenerfahrung:
Die Radwege führen fast ausnahmslos auf zumeist prima asphaltierten Nebenstrassen entlang sowie entlang der unzähligen Kanäle. Recht oft sind die Wege sogar ausschliesslich Radfahrern
vorbehalten, d.h. Autoverkehr ist untersagt. Die Wege sind aussergewöhnlich breit und in gutem Zustand. Es ist ein absoluter Hochgenuss, das Wegesystem zu nutzen und im Vergleich z.B zu Asien ist
das sich in Einem ausbreitende Sicherheitsgefühl schlicht umwerfend.
Verpflegung:
Die Belgier scheinen andere Strecken gewohnt zu sein als wir - anders können wir uns nicht erklären, warum nur so selten eine Raststation an der Strecke zu finden ist. Oder es gibt mobile Stände
die erst im Sommer aufgebaut werden...wir wissen es nicht. Einstweilen gilt es, bei einem Anflug von Hunger, Durst oder Blasendruck die Strecke zu verlassen, ins nächste Dorf zu radeln und danach
zur Route zurückzukehren.
Viel Spaß allen Radlern!
Es ist soweit. Die erste Einradelkurzetappe von Brügge nach Zebrügge steht an. Und schwupp, befindet man sich als auf sich allein gestellter Reiseradler, der nicht organisiert mit
Gepäcktransport unterwegs ist, vor zahllosen Herausforderungen bevor es losgehen kann.
Zum ersten: weil jedes Gramm zählt, beschliessen wir, einige Mitbringsel, die wir bereits angesammelt haben, per Post zurück zu schicken. Frohgemut suchen wir ein Päckchen aus, packen und geben
es auf. Erst knapp vor dem Bezahlvorgang reiben wir uns die Augen: 35,50 € für 2,5 kg?!?! Wir packen wieder aus und erklären das erhöhte Gepäckgewicht zur sportlichen Note. Seitdem haben wir für
den Begriff EU eine neue Übersetzung: eh unnötig :-). Oder warum sonst kostet ein Paketversand von B nach Ö so derartig viel?
Zum zweiten: wird es pünktlich zum Start unsere Tour richtig kalt und regnet. Wir brauchen Handschuhe. Und am besten noch Mützen. Das haben die Läden in Brügge aber Ende April nicht mehr im Plan.
Nur Sommersachen. Mist. Der einzige Shop, auf den Verlass war, waren nicht etwa C&A oder Kaufhof, sondern das Mini-Souvenirgeschäft um die Ecke.
Zwei Stunden hat uns die Suche gekostet.
Drum zum Dritten: wenn man radelt, heisst das, Pläne sind immer relativ. Bis man alles beisammen hat, das Wetter weniger schlecht passt, die Packtaschen wirklich passen und die Kleidung sitzt -
das dauert. Und so kommt es, dass Till (Eulenspiegel) eben nicht mehr in Damme auf uns wartete, sprich, das Museum schon zu war.
Doch das Wichtigste ist und bleibt, dass die Räder passen. Da kann man sich ja bei Mieträdern nicht so sicher sein, wie wenn man den eigenen geliebten und eingesessenen Drahtesel mitnimmt. Wir
atmen auf - sie passen. Selbst als ich in der Früh auf den glitschiger-als-glitschigen Pflastersteinen ausrutsche und mich und das Radel mit dem Brügger Stein vertraut mache...das Radl hält (zum
Glück meine Hose auch). Und auch Überland am Deich entlang geht alles gut.
In den kommenden Tagen, werden wir Euch an diese Stelle noch ein wenig näher mit den Radelerlebnissen hier vertraut machen. Bleibt dran.
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